Warum fliegen ausgerechnet die schönsten Stunden einfach so vorbei, während sich unangenehme Erfahrungen endlos in die Länge ziehen? Kann es nicht umgekehrt sein und können wir die Zeit irgendwie verlangsamen?
Jeder von uns kennt das – manchmal vergeht die Zeit quälend langsam und manchmal rast sie uns davon.
Dabei fließen die Sekunden, Minuten und Stunden unseres Lebens immer im gleichen Takt voran. Und doch fühlt es sich ganz unterschiedlich an. Denn unser Zeitempfinden verändert sich mit unserem persönlichen Erleben.
Was unser Zeitgefühl beeinflusst
Vielleicht erinnerst du dich noch, dass das Zeitgefühl in der Kindheit noch ganz anders war als heute. Wir waren noch nicht so tief in automatische Abläufe verstrickt, alles war immer wieder neu und anders. Unsere Erfahrungen und Eindrücke, unsere Erlebnisse und Emotionen. Es gab ständig Neues zu entdecken und jeder Tag war ein Abenteuer.
Das nimmt im Erwachsenenalter ab, weil wir im Laufe der Jahre mehr und mehr feste Routinen entwickeln und viele Aufgaben gewohnheitsmäßig erledigen. Wir erfahren also vieles im Alltag gar nicht mehr so bewusst, sondern laufen wie auf Autopilot durch den Tag.
Wenn wir also wieder mehr Bewusstsein in unser tägliches Tun bringen und neben unseren eingespielten Abläufen auch immer wieder Neues ins Leben integrieren, können wir dann unsere Wahrnehmung der Zeit verlangsamen?
Oder hat unser Zeitgefühl auch etwas mit unserer Persönlichkeit und unserem Mindset zu tun?
Wie die innere Ausrichtung auf unser Zeitgefühl wirkt
Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen, ständig kommen neue Informationen, Reize und Eindrücke hinzu.
Es ist, als müssten wir in immer kürzerer Zeit immer mehr bewältigen. Doch wie sehr wir uns auch anstrengen, egal wie weit wir vorausplanen und wie gut organisiert wir sind: Wir sind immer irgendwie getrieben, immer unter Druck und vereinnahmt von dem, was morgen auf uns wartet.
Die Zeit rennt uns davon – und wir rennen hinterher.
In unserer schnelllebigen Zeit ist es gar nicht so einfach, sich diesem Kreislauf zu entziehen. Denn egal, was wir erreicht haben, wir stehen immer schon an der Startlinie für das nächste Projekt, die nächste Etappe, das nächste Ziel.
Trotzdem gibt es Menschen, die scheinbar die Ruhe selbst sind und eine tiefe Gelassenheit ausstrahlen, egal was gerade um sie herum passiert. Ich habe das immer bewundert, denn bei mir sah es viele Jahre ganz anders aus.
Kann Gelassenheit die Zeit verlangsamen?
Oft hatte ich in mir schon dieses Gefühl der Enge und Zeitnot, bevor ich überhaupt mit einem Projekt angefangen habe. Denn mit dem Blick auf die To-do-Liste türmte sich vor meinem geistigen Auge alles zu einem riesigen Berg auf, wurde immer bedrohlicher und drängte sich in den Vordergrund.
Allein der Gedanke daran löste Herzklopfen aus und ich spürte den ersten Anflug von Stress in mir aufsteigen. Obwohl mir natürlich bewusst war, dass all das nicht sofort und parallel erledigt werden muss, zog sich alles in mir zusammen.
Tatsächlich kann schon dieses Gedankenkarussell enormen Druck erzeugen und uns in einen Zustand der Kraftlosigkeit bringen, bevor wir auch nur einen Finger gekrümmt haben.
Obwohl ich heute weiß, wie ich diese inneren Stressoren rechtzeitig erkennen und in meiner Mitte bleiben kann, ist das immer noch ein wunder Punkt und ich muss in turbulenten Zeiten besonders gut auf mich achten, damit mich diese alten Muster nicht mitreißen.
Denn wenn wir erst einmal in diesem Strudel gefangen sind, ist es gar nicht so leicht, sich wieder daraus zu befreien und den Weg zurück in die innere Ruhe und Stabilität zu finden.
Wie wir die Zeit verlangsamen oder beschleunigen können
Als mir das individuelle Zeitempfinden so richtig bewusst wurde, habe ich angefangen, in meinem Alltag zu beobachten, wann die Zeit für mich fliegt und wann sie gar nicht zu verstreichen scheint.
Und ich war ziemlich erschrocken, dass erstens die Zeit für mich meistens rast und ich zweitens scheinbar gar keinen Einfluss darauf habe. Denn was soll ich schon tun, wenn die äußeren Umstände mir so viel abverlangen?
Außerdem: Die Zeit verfliegt, wenn wir unter Druck stehen, gestresst oder überfordert sind. Sie verfliegt aber auch, wenn wir uns in der Zeit verlieren. Wenn wir im Flow sind, tief in unseren Aufgaben versinken und alles andere ausblenden.
Der Unterschied ist nur: das eine macht uns weit und leicht, lässt uns wachsen und entfalten. Das andere aber gibt uns ein Gefühl der Enge, Machtlosigkeit oder Fremdbestimmung.
So vieles scheint im Flug zu vergehen. Wenn wir lange auf etwas hin fiebern, das uns im Moment des Erlebens schon wieder zu entgleiten scheint. Der langersehnte Urlaub, die besonderen Feste und Ereignisse des Jahres, die kostbare Zeit mit Lieblingsmenschen, die weit entfernt von uns leben.
Aber auch die Umbrüche, Abzweigungen und Meilensteine unserer Lebensreise. Die erste Zeit in einer neuen Stadt, in einem neuen Job. Neue Menschen, Erfahrungen und Eindrücke. Neue Herausforderungen und Lebensumstände. Abschiede und Neuanfänge, Gewinne und Verluste.
All das kann sich wie im Zeitraffer anfühlen. Aber es ist auch das, was uns bereichert und weiterträgt. Es sind die Erfahrungen, die uns lebendig fühlen lassen, inspirieren und mit Sinn erfüllen.
Das heißt, wir erleben die Zeit als schnell oder langsam, je nachdem, wie abwechslungsreich oder emotional unser Leben in dieser Phase gerade verläuft. Fühlt sich unser Alltag und das, was wir tun, gut und wertvoll an? Fühlen wir uns verbunden mit uns selbst oder eher gefangen, orientierungslos oder leer?
Guten Zeiten, schlechte Zeiten – die Qualität unserer Lebenszeit
Intensive Lebensphasen mögen schnell verfliegen, aber was wir daraus mitnehmen und wie lange diese Erfahrungen noch in uns nachwirken, kann unsere Wahrnehmung der Zeit verlangsamen.
Deshalb ist dieser Eindruck immer nur eine Momentaufnahme. Denn im Rückblick dehnt sich unser Zeitempfinden mit der Summe unserer Erfahrungen aus. Mit allem, was unsere Lebensfülle prägt, was wir tief empfunden und mit allen Sinnen erlebt haben.
Wenn dagegen ein Tag dem anderen gleicht, verläuft unser Leben schleichender. Doch die Zeit fühlt sich im Nachhinein irgendwie leblos an, als hätte sie gar nicht stattgefunden. Plötzlich sind 5 Jahre vergangen und wir fragen uns, wo die Zeit geblieben ist.
Denn wir blicken zurück auf ein Einerlei und es ist nichts mehr da, aus dem wir schöpfen können, aus dem sich etwas Neues gestalten und entwickeln kann. Wir haben die Zeit verstreichen lassen, ohne ihr Ausdruck zu verleihen. Ohne etwas zu bewegen oder zu hinterlassen.
Das heißt aber nicht, dass wir unser Leben mit ständig neuen Herausforderungen überladen sollten. Denn permanente Höchstleistungen, Stress und Druck wirken im Gegensatz zum inneren Antrieb erschöpfend auf unser ganzes System. Sie belasten nicht nur unseren Körper, sondern beschränken auch unsere Lebensfreude, kreative Energie und unser Entwicklungspotenzial. Und damit die Qualitäten, die unsere Lebensfülle ausdehnen.
Die Lösung liegt also weder in monotonen Abläufen und Strukturen noch in dem Versuch, aus jeder Stunde des Tages so viel Output wie möglich herausholen. Vielmehr geht es um eine gesunde Balance und die Qualität unserer Lebenszeit.
Wir können die Zeit verlangsamen, indem wir unseren Wert erkennen, uns bewusst im Leben ausrichten und unser eigenes Tempo zwischen maximaler Beschleunigung und komplettem Stillstand finden.
Haben wir überhaupt eine Wahl?
Es geht also um die Frage: wie kann sich mein Leben mehr so anfühlen, als hätte ich alle Zeit der Welt und weniger so, als würde mir die Zeit davonlaufen?
Und die gleichermaßen simple wie schwierige Antwort lautet: indem ich entscheide, was wirklich wichtig ist. Indem ich meinen Lebensrhythmus entschleunige und mich darin übe, im Heute zu leben. Nicht nur physisch anwesend zu sein, sondern mit meinen Emotionen, Gedanken und meinem Tun wirklich präsent zu sein. Nicht geistesabwesend zu funktionieren, sondern mit allen Sinnen hier zu sein.
Leichter gesagt als getan, oder? Denn wie sollen wir Beruf, Familie, Verantwortung und persönlichen Interessen gerecht werden, wenn der zeitliche Ablauf oft gar nicht in unserer Macht liegt? Was ist mit all den Regeln und Vorgaben, die ständig unser Leben kreuzen? Da gibt es Termine, Verpflichtungen und Absprachen, feste Arbeits-, Schul- und Ferienzeiten. Da gibt es unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Familie, Freunde, Kollegen oder Kunden.
Und wir müssen ja auch unsere Zukunft planen, uns Ziele setzen, Strategien und Pläne entwickeln, damit wir einerseits in unseren gesellschaftlichen Strukturen bewegen und andererseits unsere Träume und Visionen umsetzen können.
Darüber hinaus ist Entschleunigung in unserer Leistungsgesellschaft ja auch nicht gerade positiv besetzt.
Verhindert Entschleunigung unsere Weiterentwicklung?
Auf den ersten Blick erweckt Entschleunigung vielleicht den Eindruck, dass wir im Leben nicht wirklich vorankommen, hinter den anderen zurückbleiben oder etwas Wichtiges verpassen.
Doch eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Denn Entschleunigung bedeutet vor allem, bewusst zu wählen, was unsere volle Aufmerksamkeit verdient. Es bedeutet, klare Entscheidungen zu treffen.
Zu einer Sache Ja oder Nein zu sagen. Und nicht zu allem Jein.
Deshalb steckt in der Entschleunigung oft mehr Potenzial und Effizienz als in der Schnelligkeit. Weil diese eine Sache unseren vollen Fokus hat, weil wir sie in der Tiefe entwickeln, zur vollen Reife und höchsten Qualität bringen können.
Vielleicht fühlt es sich im ersten Moment so an, als seien wir besonders produktiv und vielseitig, wenn wir überall ein bisschen Zeit investieren. Aber wenn wir mit unserer Aufmerksamkeit überall und nirgends sind, zerfließt unsere Energie und unsere Ressourcen in alle Richtungen.
Und wenn wir alles nur halbherzig anfassen, können wir nichts von Wert erschaffen. Egal ob im Business, in sozialen Beziehungen oder unserer persönlichen Entwicklung. Dann bleibt letztlich alles oberflächlich, beliebig und austauschbar. Und genauso fühlt sich dann auch unsere Lebenszeit an.
Wie unser Lebensrhythmus die Zeit verlangsamen kann
Was können wir also tun, um die Zeit zu verlangsamen, unseren Alltag tatsächlich zu entschleunigen und dem Leben mehr Raum zu geben?
Es ist vor allem erst einmal eine innere Reise, auf die wir uns da machen, während das Tempo der Welt stetig anzieht und das Leben im Außen mit all seinen Anforderungen weiterläuft. Und das erscheint auf den ersten Blick wie eine unlösbare Aufgabe.
Doch wir können uns annähern, wenn wir Entschleunigung nicht so sehr als Verlangsamung betrachten, sondern als andere Wahrnehmung. Es ist eine bewusste Ausrichtung auf das, was zu diesem Zeitpunkt unseres Lebens essenziell ist. Und das kann sich von Mensch zu Mensch und von Lebensphase zu Lebensphase unterscheiden.
Es geht nicht darum, alles nur noch langsam zu machen. Auch das Schnelle, Herausfordernde und Stürmische hat Platz im Leben, hat seinen Sinn und dient unserer Entwicklung.
Es geht darum, auf allen Ebenen präsent und bewusst zu sein. Uns nicht in einem sinnentleerten Wechsel zwischen Überforderung und Erschöpfung zu bewegen, sondern in wilden und ruhigen Zeiten unseren eigenen Rhythmus zu finden und das Gleichgewicht zwischen den Kräften des Lebens zu halten.
Ausrichtung und Prioritäten für ein neues Zeitempfinden
Wenn wir die Zeit verlangsamen wollen, müssen wir uns erst einmal bewusst werden, was wir alles in unseren Alltag packen.
Natürlich können wir uns nicht allen Verpflichtungen entziehen. Was wir aber tun können, ist unsere innere Haltung zu überprüfen. Warum empfinden wir etwas als Verpflichtung und gibt es wirklich nur diese eine Perspektive? Welche Bindung ist damit verknüpft, haben wir sie frei gewählt und ist sie endgültig? Welchen Nutzen erfüllt diese Verpflichtung und gibt es eine Alternative?
Im zweiten Schritt können wir uns fragen, was uns im Leben wirklich wichtig ist. Kennen wir überhaupt unsere persönlichen Bedürfnisse? Und wenn ja, an welcher Stelle stehen sie? Welche Prioritäten setzen wir in den unterschiedlichen Lebensbereichen?
Wir können vielleicht nicht alle Rahmenbedingungen verändern, aber wir können festlegen, welche Rangfolge unsere Werte und Ziele haben. Und zu welchem Preis wir anderen Dingen den Vorrang geben.
Das kann für dich etwas vollkommen anderes sein als für mich. Was zählt, ist uns unseren Prioritäten immer mehr anzunähern, unser Leben immer mehr danach auszurichten. Von den ganz kleinen Dingen im Alltag bis zu den großen Lebensbereichen wie Partnerschaft und Familie, Berufung, Sinn, Vision und Selbstverwirklichung.
Wir haben immer eine Wahl
Natürlich gelingt das nicht von heute auf morgen. Aber je mehr wir im täglichen Leben achtsam mit uns selbst umgehen, desto achtsamer gehen wir auch mit unserer Zeit um.
Es ist unsere Lebenszeit, die jeden Tag fließt, die sich jeden Tag ein kleines Stück verkürzt.
Das soll keineswegs Druck erzeugen, sondern unser Bewusstsein dafür schärfen, wie kostbar jeder Tag ist. Es soll daran erinnern, dass der abgesteckte Lebensrahmen, in dem wir uns bewegen, oft nur so eng erscheint, es aber nie nur den einen Weg gibt.
Wir aber immer die Wahl, die Leitlinien für unser Leben zu korrigieren. Unser Mindset und unsere Prioritäten zu verändern, neue Entscheidungen zu treffen und eine andere Richtung einzuschlagen.
Und in diesem Bewusstsein können wir tatsächlich die Zeit verlangsamen. Weil wir eine Wahl haben.
Vielleicht wird es zwischendurch immer mal wieder holprig oder unbequem. Aber morgen ist wieder ein neuer Tag, an dem wählen können, ein kleines bisschen mehr in die Qualität unserer Lebenszeit zu investieren, auch wenn es nur fünf Minuten mehr sind als gestern.
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